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koproduktion eotheater.net, zürich, go-theaterproduktionen, zürich, rote fabrik, zürich
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inszenierung: mario portmann raum: henri steinmetz kostüme: claudia gonscharek live-musik: kim oetliker dramaturgie / mitarbeit: eberhard köhler regieassistenz: anne-christine gnekow regiehospitanz: cornelia rosenkranz produktionsleitung: carla kiefer
mit mareike sedl, malika khatir, matthias flückiger
premiere am 18.9.2002 im fabriktheater, rote fabrik, zürich
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Short Cuts
Ausbruch aus der eigenen Biographie und Verweigerung von gesellschaft- lichen Normen
So lautet der gemeinsame Nenner, unter den Mario Portmann und Tilmann Köhler ihre beiden Inszenierungen gestellt haben. Die Vorlagen, “Baise-moi” von Virginie Despentes und “Fight Club” von Chuck Palahniuk - Romane mit erheblichem Gewaltpotenzial -, wurden beide verfilmt.
Die beiden im Fabriktheater gezeigten Inszenierungen brauchen den Vergleich mit der Leinwand nicht zu scheuen, beide Arbeiten sind als eigenständige Leistungen zu betrachten. Wo sich Portmann (am letzten Freitag) szenisch bedeckt hielt, schöpfte Köhler aus dem Vollen; wo sich das Spiel in “Baise-moi” auf Andeutungen und Markierungen reduzierte, werden die Figuren in “Projekt Chaos” mit kraftvollen Strichen konturiert.
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Der Fluch der Vorlage
“Baise-moi” - die Bühnenfassung im Fabriktheater
”Baise-moi”, der Skandalroman von Viriginie Despentes, wurde verfilmt - und in Frankreich sofort verboten. Jetzt hat Mario Portmann die Versuche des Ausbruchs und der Befreiung von zwei Frauen aus dem Rotlichtmilieu für die Bühne adaptiert.
Frankreichs Schriftstellereinnen und Regisseurinnen bestellen seit einiger Zeit das bin anhin von Männern besetzte Gebiet der Pornographie und schicken ihre Heldinnen auf (mitunter reichlich angestrengte) Expeditionen in weiblich-erogene Zonen. Auch Nadine und Manu, die beiden Hauptfiguren in Virginie Despentes’ Roman “Baise-moi” holen sich, was ihnen zusteht: Männer, Mut, Moneten. Der mit einer obsessiven Sexualität und blutiger Gewalt gepaarte Ausbruch aus dem Rotlichtmilieu führt allerdings - anstatt in die grosse Freiheit - in den (physischen) Untergang. Die Autorin, die die Dinge beim pornographischen Namen nennt, wirft einen provokanten, scheinbar schonungslosen (sagen wir: unzensurierten) Blick auf die sexuelle Ausbeutung der Frauen und deren Wandel von Opfern zu Täterinnen. Dazu gehören auch erotische, detailliert beschriebene Praktiken aus dem Corss-over-Bereich. Despentes reduziert ihre beiden Protagonistinnen im Übrigen auf dumpfe Wollust und labt sich am entsetzten Blick der anderen, einer - natürlich - im Dauerfrust des eigenen Triebverzichts erstarrten Gesellschaft. Und dies alles, um die notabene lapidare (zudem: falsche) Einsicht zu verbreiten, dass Gewalt an Frauen Gewaltfrauen schafft.
Ausgerechnet dieses, allenfalls durch seine schnoddrige Kälte bestechende Machwerk hat Mario Portmann adaptiert und im Fabriktheater zur Aufführung gebracht. Er nimmt den Text (zu deutsch “Wölfe fangen”) ernst, ist auf der Seite der beiden Frauen - und will trotzdem Distanz. Kulisse und Kostüme werden coram publico gewechselt, die Inszenierung nähert sich über weite Strecken - zum Glück - einer szenisch erweiterten Lesung. Nachlässig mit Kleidungsstücken und Requisiten bestückte Schausfensterpuppen im Hintergrund (eine Art Garderobe) warten auf die Spieler. Malika Khatir, Mareike Sedl, und Matthias Flückiger verschwinden kurz im Bühnendunkel und treten - mit Perücke, Brille, Pumps - als Manu, Ndine, Zuhälter, Freier, Biedermann ans Mikrophon. Ein reizvolles Wechselspiel zwischen Erzählpassagen und männlichen Monologen (Flückiger übernimmt gleich mehrere Rollen) bestimmt die kleinen Szenen; die epische Distanz zwischen den beiden Schauspielerinnen und ihren Figuren geben dem schwerfälligen Text streckenweise etwas Leichtes. Portmann will Tragik und Tiefe für die beiden Frauen, Komik für (fast) den Rest. Unruhe und zu viele Lacher stören - bei fortschreitender inszenatorischer Ausweitung - die zurückhaltenden, stillen Momente an diesem Abend.
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