Tagesanzeiger, 3. März 2002
UND ZUM TRINKEN BITTE ETWAS BLUT
Mit "Dracula & so", einem Stück über Vampire, macht das theater fallalpha Schulklassen unsicher. Ein Projekt des Theaterfestivals "Blickfelder".
Vierzig Wildfänge drängeln im ersten Stock des Schulhauses Borrweg schubsend und lachend Richtung Klassenzimmer. An der Türe werden sie von zwei freundlichen Frauen aufgehalten: Puls messen. Dann ein tiefer Blick in die Augen, ein Fingerschnippen, und die Sechstklässlerinnen und Sechstklässler dürfen das Vampirreich betreten. Eigentlich ist es ein ganz normales Klassenzimmer, in das sie da hineingalangen. ... Und doch ist alles ein kleines bisschen anders, ungewohnt. Dicht gedrängt sitzen die Kinder mucksmäuschenstill auf Schulbänken, Stühlen und am Boden. Irgendetwas stimmt mit den freundlichen Frauen nicht ganz. Sie sind unberechenbar, explosiv, wechseln abrupt die Stimmungslagen, und immer wieder werden ihre Augen für kurze Zeit starr und die Blicke durchdringend. Sie ziehen die Oberlippen in die Höhe, zeigen die Zähne und erzählen bizarre Geschichten von Särgen, Vampiren, Löchern im Hals und von Blut. Von sehr viel Blut. Christine Faissler und Susanne Vonarburg, die beiden Vampirinnen des theaters fallalpha, schlagen zu. Für eine Stunde ziehen sie ihr Publikum in Bann, ohne dabei drastisch oder plakativ zu werden. Ein einziges Mal ist ein klein wenig Blut zu sehen, sonst vertrauen die zürcher Theaterpädagoginnen unter der Regie von Mario Portmann ganz auf die Bildlichkeit der Texte und die packenden Wechsel in der Dynamik des Spiels. Ihr Geheimnis liegt in der Einfachheit und im Tonfall.
Über Vampire reden Das Geschichtenmaterial haben die beiden Frauen während einer ausgiebigen Recherchephase in Schulklassen zusammengetragen. Die Sprache und die Gedanken der Kinder sind ungefiltert in den Mundarttext eingeflossen und zu einem leichten, witzig-gruseligen Stück geronnen, das weit entfernt liegt von den abgedroschenen Vampirmustern welche die Filmindustrie in immer neuen Verpackungen auf den Markt wirft. Auch wenn einige der zwölf- und dreizehnjährigen bereits Erfahrungen mit Vampirfilmen gemacht haben, wie die Klassenlehrerin Karin Blümel erzählt, lassen sie sich von der feinen, aber eigenwilligen Fassung des theaters fallalpha fesseln. In einem abschliessenden Gespräch wird in der Klasse über das Stück, über Vampire und über das Gruseln gesprochen. Ob es für Vampire eine Kleidervorschrift gebe und ob man als Vampir skaten dürfe, wollen die Schülerinnen und Schüler wissen. Ein junger Künstler sieht den Vorteil des Vampirdaseins im Fliegen. Da könne man die Graffiti weiter oben anbringen, "wegen der Bullen", wie er erklärend beifügt. Graf Dracula hätte seine Freude daran.
Charlotte Staehlin
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