mario portmann

der gewissenlose mörder hasse karlsson...

stadttheater bern
kornhausbühne

der gewissenlose mörder hasse karlsson enthüllt die entsetzliche wahrheit, wie die frau über der brücke zu tode kam
von henning mankell

schweizer erstaufführung

 

inszenierung: mario portmann
raum: stefan testi
kostüme: sarah bachmann
dramaturgie: angelika salvisberg
regieassistenz: wolfgang klüppel
regiehospitanz: daniela koenen
mit anna bardorf, heidi maria glössner, thomas pösse, stefano wenk

premiere am 3.4.2004

 

berner bär

Theaterfaszination

Faszinierende Inszenierung: Die Kornhausbühne zeigt ein Stück des sozialkritischen, vielfach preisgekrönten Krimiautors Henning Mankell.

In der Kornhausbühne ist immer wieder zu erleben, wie inspirierend das Fehlen einer fix installierten Bühne sein kann Im Schauspiel mit dem unsäglichen Titel “Der gewissenlose Mörder Hasse Karlsson enthüllt die entsetzliche Wahrheit, wie die Frau über der Brücke zu Tode gekommen ist”, eine äusserst kreative, abwechslungsreiche und faszinierende Inszenierung mit aussergewöhnlichen Regie- einfällen gelungen. Auf zwei Seiten sitzt das Publikum, mittendrin eine Eisenbahnschiene, darüber der Brückenbogen. Je nach Szene fährt eine Holzbühne ein, auf der sich die Innenszenen abspielen. dazu Licht und Ton, die das Gefühl vermitteln, man sitze im Kino und verfolge einen spannenden Film.
Zwei Jungs vertreiben sich die Zeit. Dabei drängt der reiche Oberförstersohn den gugläubig- gutmütigen Freund immer wieder zu Schelmereien an, wobei ein schlimmer Unfall geschieht. Was psychologisch abläuft rund um die Frage “Warum tut man Dinge, die man nicht tun will?”, und wie die  vier Protagonisten, allen voran Thomas Pösse als Hasse, an die psychischen und physischen Grenzen der Schauspielkunst gehen, ist grandios.
 

der bund vom 5.4.2004

Vom Übermut zur Gewalt

Hinter dem schreierischen Titel  «Der gewissenlose Mörder Hasse Karlsson enthüllt die entsetzliche Wahrheit, wie die Frau über der Eisenbahnbrücke zu Tode gekommen ist» verbirgt sich ein einfühlsames Stück zum Thema der Gewaltbereitschaft Jugendlicher.

Von Charles Linsmayer

Der Beginn des Abends, wenn das Publikum im Vorraum, bei den in ein dunkles Loch hineinführenden Eisenbahnschienen, herumsteht, erinnert an Marthalers Zürcher Inszenierung von Elfriede Jelineks  «Die Alpen ». Nur dass der Tunnel dann nicht wie dort, als Ort der Katastrophe von Kaprun, verrammelt bleibt, sondern das Publikum herein lässt in einen längs gestuhlten Saal mit einem verschneiten Bahntrassee und einem Stück angedeuteter Stahlbrücke im Zentrum.

Um eine Katastrophe geht es dann aber gleichwohl, auch wenn sie viel subtiler, vertrackter ist als das österreichische Bahnunglück. Es geht - und wer in den vergangenen Wochen die Berichte von einem gewissen Prozess gelesen hat, ist hellhörig dafür - um die latente Gewaltbereitschaft Jugendlicher.  «Wir werden Schrecken verbreiten, den niemand vergisst », ist der eine Aspekt, den da ein 13-Jähriger zum Ausdruck bringt.  «Warum macht man Dinge, die man nicht tun will », der andere. Und zwischen den beiden Polen, dem Ausbruch irrationaler Gewalt und der Ratlosigkeit, die ihr folgt, oszilliert die Geschichte, die Henning Mankell erzählt und die Mario Portmann in einem Bühnenbild von Stephan Testi auf eine parabelhaft-surreale Weise umsetzt.

Fatale Jugendstreiche

Hasse Karlsson, feinsinnig und glaubwürdig verkörpert von Thomas Pösse, ist auf dem Weg ans Sterbebett seiner Mutter, als er einer Buspanne wegen in einem einsamen Waldstück aufgehalten wird und da den Mitpassagieren bzw. dem Publikum erzählt, wie es 26 Jahre zuvor zum Bruch zwischen Mutter und Sohn gekommen ist. Von Schwalbe, einem seltsam faszinierenden Mitschüler, verführt, liess sich der 13-Jährige damals auf einen absurden Rachefeldzug gegen die Erwachsenenwelt ein, dessen Opfer irgendwelche Frauen aus dem Dorf waren und der seinen traurigen Höhepunkt darin fand, dass eine der Frauen am Treffpunkt des Ganovenduos, auf der alten Eisenbahnbrücke, den Erfrierungstod starb. Ein anderes Opfer, eine alte Pferdehändlerin, hatte die Tat beobachtet und erpresste von Hasse ein Schweigegeld, dessen Beschaffung dann eben den Bruch mit der Mutter zur Folge hatte. In seiner Verzweiflung stahl der Sohn der Mutter nämlich jenes Geld, das sie sich für die Erfüllung ihres Lebenstraums gespart hatte: eine Fahrt nach Rotterdam und zu den Schiffen, auf denen sie einst den Wind der Welt gespürt hatte, während sie jetzt, in der Enge des einsamen Dorfes, fast erstickt.

Draisinen-Theater

In der weiten, von Michael Frei auch musikalisch nachgefühlten Schneelandschaft, aber auch auf kleinen Podien, die wie Draisinen in den Raum rollen, werden die verschiedenen Episoden von Hasses Erzählung szenisch umgesetzt. Wobei einem Heidi Maria Glössner als bigott-verhärmte Waldarbeiterfrau ebenso nachhaltig in Erinnerung bleibt wie Anna Bardorf als verblüffend wandlungsfähige Darstellerin dreier völlig unterschiedlicher Frauen und Stefano Wenk als ein exzentrisch-überkandidelter Schwalbe, der zwar das in der Figur angelegte Dämonisch-Kriminelle eher vermissen lässt, dafür aber genau jenes «Verbrechertum » aus blossem Übermut über die Rampe bringt, das weit über Mankells Stück hinaus ein Thema ist: das Bedürfnis, das ereignislose Dasein in einem langweiligen Kaff dadurch zu unterlaufen, dass endlich etwas passiert, was die Zeitungen zu dicken Schlagzeilen veranlasst.

Was an der stimmigen, die Dinge intensiv herausarbeitenden Inszenierung, die vom Publikum am Ende herzlich verdankt wurde, ein wenig irritiert, ist der Umstand, dass das surreale Traumspiel, das Mario Portmann daraus macht, der gelegentlich etwas oberflächlich-trivialen Sprache des Stücks nicht immer ganz adäquat ist.

berner zeitung vom 5.4.2004

Gut gelungene Bruchlandung mit Schwalbe

Schwalbe flattert von Untat zu Untat. Hasse hüpft hinterher und stürzt ab. Mario Portmann inszeniert Henning Mankells «Mörder Hasse Karlsson» schrill, schnell und mit überzeugendem Hauptdarsteller.

Von Peter Steiger

Wirklich, Thomas Pösse bringts: Das neue Mitglied des Ensembles spielt die Hauptrolle, den Hasse, im Stück «Mörder Hasse Karlsson» von Henning Mankell. Er beginnt als Erwachsener, geht dann auf Zeitreise durch die Kindheit und endet wieder in der Gegenwart. Wirklich, er schaffts: Er ist der Mann im schicken Anzug, der unsichere Junge, das Grossmaul, der Rebell. Am Schluss sieht sein eleganter Zweiteiler ramponiert aus. Aber Thomas Pösse ist in Form.

Unter der Regie von Mario Portmann zeigt das Berner Stadttheater das Stück für Jugendliche und Erwachsene auf der Kornhausbühne. Krimileser kennen den Autor Henning Mankell. Dessen Kommissar Wallander löst psychologisch und gesellschaftlich sperrige Fälle in Schweden. Mankell ist jedoch auch Theatermann. Seit vielen Jahren leitet er das Teatro Avenida in Mocambique.

Spass am Streit

In einem verlassenen schwedischen Landstrich, wo sich Füchse und Elche gute Nacht sagen, wohnen die armen Karlssons. Der Vater ist schwermütig, die Mutter malocht in der Kneipe, der 13-jährige Hasse langweilt sich. Da kommt Schwalbe, Zuname unbekannt, und der hat, was Hasse fehlt: Geld, Ideen und jede Menge Aggressionen. Schwalbe stürmt vor,Hasse läuft ihm nach. Weils Spass macht, piesacken sie Leute aus dem Dorf, die Pferdehändlerin und die Musikerin. Bei der Frau, die mit Gott Kaffee trinken will, endet der Jux tödlich. Sie stirbt auf der Eisenbahnbrücke, dem Treffpunkt der zwei Jugendlichen.

Lustig statt nordisch

Möglich, dass Henning Mankell sich das anders vorgestellt hat: nordisch verhangen depressiv, sozialkritisch, das volle Programm. Regisseur Portmann indessen zeigt die Parabel vom Freund, der unfreundlich ist, um den Freund nicht zu verlieren, als überdrehte Tragikomödie mit schrillen Rollen. Gut, es wird etwas arg viel geschrien. Bei einer solchen Überdosis hört man nicht mehr so gut hin.

Aber sonst: Abstruse Figuren kontrastieren ausgezeichnet mit der Kleinbürgerwelt bei Karlssons. Der skrupellose Genuss- und Tatmensch Schwalbe verführt den ahnungslosen Hasse. Das Stück bietet rasantes Anschauungsmaterial zum Thema «Führer befiehl, wir folgen dir». Der Interlakner Mord an Marcel von Allmen kommt einem in den Sinn - und dass die Realität die Fiktion wieder einmal hinter sich gelassen hat.

Die Produktion profitiert von einem durchdachten Bühnenbild. Ausstatter Stephan Testi bezieht das Foyer ein und legt durch Vorraum und Spielstätte ein Eisenbahngeleise. Schienenrollis transportieren die Szenenbilder; eine einfache, eindrückliche Lösung. Sarah Bachmann hat die Kostüme kreiert, theatralische Kleider, die der Inszenierung entsprechend ausserhalb der Zeit stehen.

Leider ist «Mörder Hasse Karlsson» zu lang. Die Entwicklung der Geschichte ist bald einmal voraussehbar. Schwalbe flattert von einem Streich zum nächsten, Hasse hüpft hinterher. Da hätte man getrost auf den einen oder anderen Ausflug verzichten können.

Skurrile Überdosis

Viel zum Gelingen trägt Thomas Pösse bei. Der junge Schauspieler ist als Hasse fast ständig auf der Bühne und überzeugt rundum. Stefano Wenk spielt Schwalbe. Bei aller Freude am Skurrilen: Seine Figur ist dermassen überdreht, dass die Faszination leidet, die er auf Hasse haben soll. Anna Bardorf hats in ihrer Mehrfachrolle als Händlerin, Posaunistin und Fromme leichter. Die drei Charaktere sind vom Stück her eindimensional. Bardorf gibt die Figuren unbeschwert, mit Power und schön komödiantisch. Heidi Maria Glössner schliesslich gelingt es als Mutter Karlsson mit Menschlichkeit und Wärme Akzente und Kontraste zu setzen.

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