mario portmann

moby dick

staatstheater braunschweig
theaterspielplatz

moby dick
nach herman melville / erik schäffler

 

inszenierung: mario portmann
raum/kostüme: patrick bannwart
musikalische einstudierung: jörg wockenfuß, jan beyer
mit christian wincierz, björn jacobsen, marco werner

premiere am 1.10.2005
wiederaufnahme im dezember 2006


eingeladen zur
“woche junger schauspieler” ausgerichtet von der
deutsche akademie der darstellenden künste und der stadt bensheim, mai 2006.
 

braunschweiger zeitung vom 4.10.2005:

Walkampf am Rande des Wahnsinns

Kategorie grandios: "Moby Dick" im Braunschweiger Theaterspielplatz

Von Martin Jasper

Die Sonne dringt niemals durch. Dunstig und düster ist es an Deck. Man hat von Anfang an das unbehagliche Gefühl, auf einem schwimmenden Sarg unterwegs zu sein.
"Moby Dick", dieser urgewaltige, unheimliche, abgründige Roman des Amerikaners Herman Melville, erfährt im Braunschweiger Theaterspielplatz eine kongeniale Bühnenfassung.
Dem Schweizer Regisseur Mario Portmann ist eine suggestive, manchmal fast magisch beschwörende Inszenierung gelungen. Man ist an den großen Peter Brook erinnert, wenn man erlebt, wie hier im leeren Raum mit einfachsten Mitteln die Kämpfe und Katastrophen eines absurden Walkampfes imaginiert werden, dass es einen packt und schüttelt und schaudert.

Ansprache an die Haie
Wir erleben, wie der junge Ismael (Christian Wincierz) auf einem Walfänger anheuert. Wie er den halbwilden Queequeg kennen lernt, von den frommen Schiffseignern übers Ohr gehauen wird. Wie er erstmals am Mast hinauf muss. Wie er mit der Mannschaft auf Wale fiebert, wie er im Ruderboot mit dem Meeresriesen und den Riesenwogen ringt.
All dies bieten die drei Schauspieler mit ungeheurem Körpereinsatz, mit brutal lauten Trommelschlägen auf Fässer, mit viel Gesang und Sprechchor, sodass man hineingesogen wird in ein archaisches, fast mythisch anmutendes Geschehen.
Wobei immer wieder auch humorige Einlagen für Lockerung der Anspannung sorgen. Etwa wenn der Smutje auf breitem Berlinerisch den Haien eine Ansprache hält. Einmal allerdings kommt die Rede auf Legosteine und den Braunschweiger Schlosspark – eine unpassende, etwas alberne Aktualisierung.

Das Klima ändert sich schlagartig, als Kapitän Ahab erscheint. Björn Jacobsen gibt ihn bleich, mit wirrem Haar und leiser Stimme hart am Rande des Wahnsinns. Der verbitterte Mann, der im weißen Wal das Wesen des Bösen ergründen will und ihm selbst schon verfallen ist. Für den diese Reise zur schwarzen Messe wird.

"Weißmann viel boshaft"
In einer eindringlichen Szene schwört er die Mannschaft auf die Jagd auf Moby Dick ein. Und alle brüllen blutrünstig mit: eine beklemmende Studie der faschistoiden Massenhysterie. Marko Werner als Steuermann Starbuck erspielt sehr glaubhaft die allmähliche Auflehnung gegen den Irrsinn, der in den Tod führt.
Zugleich ist diese Inszenierung eine bewegende Reflexion darüber, wie wir mit der Natur umgehen. "Weißmann viel boshaft, nikt glücklich", sagt Queequeg (Marko Werner) schon zu Beginn.
In einer ganz wunderbaren Szene wird es dann spürbar. Das Schiff ist nachts mitten in einen Schwarm Wale hineingeglitten, darunter Kühe mit Säuglingen. Sie werden von sanft schwankenden Lampen symbolisiert. Zu leisen, hypnotischen Walgesängen verfallen die Seeleute der Faszination des Augenblicks. Doch plötzlich gleißt grelles Licht auf, beutegierig brüllen die Walfänger. Das Gemetzel beginnt.

Diese Aufführung sollte man sich auch als Erwachsener nicht entgehen lassen.
 

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bergsträßer anzeiger vom 29.5. 2006

Weißer Wal-Kampf als schwarze Messe

WOCHE JUNGER SCHAUSPIELER: Staatstheater Braunschweig inszenierte "Moby Dick"

Bensheim. Das pralle Epos als abgespecktes Kammerspiel. Ein Pottwal von einem Wälzer als Bühnenstück mit drei Schauspielern. Mario Portmanns Größenwahn sei Dank, hat sich das 135 Kapitel starke Büchlein in eine gewaltige Bühnen-Miniatur verwandelt. Zum Vergleich: Der Autor und Regisseur Klaus Buhlert ("Hörspiel des Jahres 2006" für "Mosaik") hat "Moby Dick" vor vier Jahren im Bayrischen Rundfunk als neunstündigen Lauschangriff inszeniert.

Zweifellos kein Schiffbruch, aber was das Braunschweiger Staatstheater am Samstag in Bensheim veranstaltet hat, gehört in die dünne Rubrik namens "einfach und grandios". Dass Portmann als schweizer Regisseur von 39 Jahren nicht gerade im Walfänger-Milieu groß geworden ist, ist eigentlich kaum zu glauben: so düster die Atmosphäre auf der Pequod, so urgewaltig und abgründig sind die seelischen Wellenschläge der Besatzung auf einem Segeltörn ins Herz der menschlichen Finsternis.

Magische Sogwirkung
Der Kampf mit dem weißen Wal wird als schwarze Messe inszeniert, deren in weiten Teilen magische Sogwirkung das Publikum geradezu an jenen Mast fesselt, um den die Besatzung ihren Todestanz tanzt. Riesenapplaus im Parktheater für eine Abenteuergeschichte im Rhythmus der See, die trotz brillanter, aber der Vorlage frech ins Gesicht lachenden Einfälle niemals ins Seichte abdriftet. Melvilles Story über Hochmut und Untergang, Gottesfurcht und Rache sowie den inneren Drang nach gehaltvollem Reisen und persönlich wertvollen Entdeckungen.

Die Zuschauer spüren das Salz auf der Haut, als der junge Ismael auf dem Walfänger anheuert, den halbwilden Harpunier Queequeg kennen lernt und vom naiven Hänschenklein zum gegerbten Seemann wird. Das sanfte Wiegen des Ozeans versetzt ihn in einen seltsamen Zustand, der zwischen Achtung vor der Natur und menschlichen Wahnvorstellungen und kollektiver Führungsblindheit hin- und herschlägt.

Absurder Rachefeldzug
Verhext wird die Mannschaft vom verbitterten Kapitän Ahab, dem der weiße Wal einst ein Bein genommen hat und der die Reise zum absurden Rachefeldzug macht. Mit wirrem Haar und mehlweißer Haut macht Ahab seine seetüchtigen Kreuzritter mobil für einen Kampf gegen das vermeintlich Böse, das als unsichtbare Bedrohung um die Pequod schwimmt. Das Riesenmeer lässt keine Fluchten zu, der Meeresriese wird vom Verfolgten zum Jäger und bald zum Ausdruck der individuellen menschlichen Urängste.

Ahab, der das Böse ergründen will, hat sich längst auf dessen Seite geschlagen. Bei Neumond im April werden ihm alle bis auf einen in die kalten Tiefen des Meeres gefolgt sein. Die Atmosphäre auf dem Schiff schwappt ins Parktheater: mit mystischen Chorälen und lauten Trommelschlägen erzeugen die Schauspieler eine enorme Intensität und dramaturgische Spannung. Das Bühnenbild (Patrick Bannwart) ist hervorragend durchdacht: ein Mast mit drehbarer Unterseite, herabhängende Leuchten und schwarze Kunststofffässer, die auch als perkussive Zielobjekte dienen. Die gesamte Bühne ist mit herausnehmbaren Gitterelementen belegt, die den lauten Schlägen einen idealen Resonanzboden geben.

Die hypnotischen Gesänge transportieren die Stimmung auf dem Schiff und kommentieren die einzelnen, fließend übergehenden Handlungsszenen (Dramaturgie: Johanna Kusche). Die drei Schauspieler zeigen einen enormen Körpereinsatz und überzeugen mit holperfreien Figuren- wechseln: Christian Wincierz unter anderen als Ismael, Björn Jacobsen im Gewand des gespenstischen Ahab und als vergnüglicher Stubb. Hervorragend Marko Werner als Queequeg und Steuermann Starbuck, der moralisch feste, gottesfürchtige und an seiner inneren Schwäche verzweifelnde Gegner Ahabs, der dessen Massenhysterie in fatalistischer Lethargie beobachten muss.

In einer der schönsten Szenen beobachten die Matrosen eine Walherde, die von schwankenden Lampen symbolisiert wird. Die Faszination des Moments macht den Seeleuten die eigentliche Aufgabe ihrer Reise deutlich (Öl für die Lampen der Heimat), bevor sich die Bühne erhellt und das blutige Gemetzel um Moby Dick in sein tödliches Finale geht. Die Lichtquellen im Bühnenboden forcieren die geisterhafte Stimmung an Bord, die nicht zuletzt im Kopf des Zuschauers beschleunigt wird.

Sinn für attraktive Details
Regisseur Portmann beweist viel Sinn für attraktive Details. Etwa, wenn er den Schiffskoch auf Berlinerisch den gefräßigen Haien die Leviten lesen lässt oder der marine Personalchef im bayrischen Dialekt seinen Rekrutierungsgeschäften nachgeht. Glänzend, wenn der prophetische Elias die Tragödie mit einem Blues an der Hammondorgel vorhersagt und Ahab seine inneren Konflikte am gleichen Instrument in tonale Dissonanzen überträgt.

Selbst, wenn sich drei Matrosen beim Wal-Quartett die Zeit vertreiben, beginnt der stabile Kurs der vitalen Inszenierung nicht zu schlängeln. Das Braunschweiger Staatstheater zeigt großes Erzähltheater mit Phantasie und Einfallsreichtum. tr