Den jungen Schauspielern Mandy Müller und Robert Frank gelingt in norway.today eine feine Leistung.
Nordhausen: Kalte Zeiten
von Erika Stephan
Das ist die andere Seite unserer Spaßgesellschaft: junge Leute auf der Suche nach dem ultimativen Kick. Überdrüssig eines Lebens, das kaum begonnen hat.
Ein realer Vorfall war der Anlass für "norway.today": Zwei junge Menschen hatten sich via Internet zum gemeinsamen Suizid verabredet. Autor Igor Bauersima schickt seine beiden Selbstmord- kandidaten auf eben diese Spur. Von Julie geht die Initiative aus. Sie hat August, den eher Zögernden, mitgenommen auf diesem einsamen Weg ins norwegische Hochgebirge. Weit unten dehnt sich der Fjord. Hier wollen sie´s zu Ende bringen.
Das Stück suggeriert zerklüftete Bergwände, den Abgrund vor unseren Füßen, endlosen Himmel. Patrick Bannwart hat auf der flachen dunklen Bühne alles auf Fantasie und Fiktion gestellt. Acht Kühlschränke verströmen die Atmosphäre eisiger Kälte. Auf zwei Projektionsflächen schimmern die Berge, flackert das Nordlicht. Dialoge mit der Digitalkamera sind Ersatz für verlorene Kommunikation. Überlebensgroß erscheinen die schönen jungen Gesichter auf der Leinwand. Jedes Zucken einer Braue, jeder Hauch des Mienenspiels wird zur Offenbarung geleugneter seelischer Stimmungen. Mario Portmann hat sich mit seinen beiden jungen Darstellern ganz in die Seelenregungen ihrer Figuren vertieft.
Mandy Müller ist eine Julie von herber, oft abweisender Schönheit. Und eine Darstellerin von geradezu knisternder Konzentrationsfähigkeit. Für sie scheint ein Leben abgeschlossen, auch eine Zukunft, die nur Sattheit kennt. Robert Frank ist der junge, erst halbherzig entschlossene Freund, ein bisschen verspielt manchmal, auch widerborstig versucht er der Ausstrahlungskraft der jungen Frau sich zu entziehen. Bis sich in einem imaginierten Liebesspiel die Spannungen lösen und eine Ahnung von Zärtlichkeit die egozentrische Verkrustung ihrer inneren Einsamkeit aufbricht.
Natürlich springen sie nicht. Die Gründe bleiben das Geheimnis des Autors und sie sind der Vorstellungskraft des Zuschauers überwiesen. Der Text Bauersimas über Orientierungsverlust junger Leute ist unter vergleichbaren Themen durchaus eine Rarität. Er kann diesem Gefühl der Verdrossenheit eine Sprache geben, die seine Figuren ganz nah an uns heranrücken. Und der dramaturgische "Trick", die Digitalkamera als Visavis einzusetzen, macht aus dem fake der Virtualität die Auseinandersetzung mit sich selbst.
Einen Mangel gibt es freilich: die Suche nach Erklärung verliert sich in der Endlosschleife des Experiments. Und wo die Regie hätte gegensteuern müssen, folgt sie brav der vorgezeichneten Spur.
Aber wer wollte diesen Abend, der der einfallsreichen Nordhäuser Dramaturgie zu danken ist, ernsthaft tadeln. Den beiden jungen Schauspielern gelingt jedenfalls eine feine Arbeit.
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