mario portmann

seekarte

seminar theaterpädagogische projektarbeit / theaterpraxis
fsu jena

imaginata theater der
imaginata jena

istvàn zelenka

theaterpädagogische fabrik des theaters altenburg-gera

valentins tag

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probenphase in festes et st. andre, sommer 1996

wir entschieden uns für folgendes verfahren:

in den ersten zwei tagen sortierten wir das material des letzten semesters (biographien der grosseltern). dazu wurden die splitter, situationen und handelnden personen auf zettelchen notiert und auf dem fussboden des kindergartens ausgelegt. stück für stück sortierten wir handlungsstränge, kombinierten ereignisse und bauten biographische stationen der hauptfiguren. dieser prozess gelang erstaunlich schnell. die geschichte, die entstand, spannte den erzählbogen über fast dreissig jahre. eine erzählung über kindheit und ihre sehnsüchte, über entscheidungen und die daraus folgenden sackgassen, über abschied, verlust, das schwinden von erinnerung und die unmöglichkeit, fehler zurückzunehmen. wir begaben uns auf eine zeitreise und spielten uns in leben hinein, die vielleicht auch unsere werden würden.

da wir den spielern innerhalb des dramatischen gerüsts gleichzeitig einen grossen freiraum lassen wollten, entschieden wir uns, kein textbuch zu schreiben, sondern die szenen und situation aus improrvisationen heraus zu entwickeln. diese improvisationen sollten locker fixiert und nur an wichtigen drehpunkten auch textlich festgelegt werden.

die locker sortierte vorlage und das improvisierende herangehen schien es ratsam zu machen, eine klare aufgabentrennung vorzunehmen: ich leitete die szenische arbeit und die spieler forschten innerhalb ihrer figuren.

das stück
valentins tag”. der abend erzählte die lebensgeschichte von vier jugendfreundInnen in zwei abschnitten. der kindheit unter dem titel “die abenteuer”. diese episode siedelt an in den jahren 1917 bis 1931. der zweite teil, “der see”, umfasst die jahre 1936 bis 1946. beide teile dauerten je knapp zwei stunden.
die rahmenhandlung spielt an einem tag im jahre 1960. der journalist valentin seidel kehrt heim in die stadt seiner kindheit. sie liegt in einem gebiet, dass demnächst durch den bau einer staumauer im wasser verschwinden wird. die stadt ist bereits verlassen und er durchstreift sie nochmals in der absicht, einen artikel für seine zeitung zu schreiben.

textauszug:

1960, in der bar, valentin geht den anfang seines artikels durch.

eine stadt geht unter.
ich sitze in meiner kleinen stadt, meiner heimatstadt. kein lärm dringt durch die offene tür, kein auto fährt vorbei, kein eismann kündigt sich mit seiner glocke an. kein kind schreit nach seiner mutter. das rauschen und brausen, das klingeln und klappern, das tönen und dröhnen der strasse ist verebbt. nur der wind spielt mit den offenen türen und fensterläden. er pfeift durch die strassen und bläst einen vergessenen hut vor sich her. die uhren sind stehengeblieben, es ist niemand mehr da, der sie aufziehen würde. mensch und tier haben die stadt verlassen. mit hab und gut sind sie aufgebrochen, um anderswo neu anzufangen. denn vor den stadttoren steht das neue jahrzehnt. in gestalt einer riesigen staumauer teilt es unser tal in zukunft und vergangenheit. in zwei tagen werden armeeeinheiten die verlorene seite ein letztes mal durchkämmen und sie dann ihrem schicksal überlassen.
langsam werden sich die strassen mit wasser füllen, die keller voll laufen und stetig werden die häuser, eines nach dem anderen, in dem riesigen see verschwinden. zuletzt wird man noch die kirchturmspitze der alten romanischen kirche sehen. vielleicht wird ihre glocke auch dann noch die stunden schlagen und die unheimliche stille zerreissen, mit der das wasser weiter steigt. schliesslich wird auch sie untergehen und für immer verstummen.
aber so lange sie schlägt, sehe ich den marktplatz vor mir, auf dem sich die leute trafen um zu handeln, streiten und die letzten neuigkeiten auszutauschen. ich sehe das kolonialwarengeschäft, wo wir als kinder den duft der weiten welt einatmeten, den schuhladen, in dem inge gearbeitet hat. ich sehe den bäcker, den fleischer und den tabakladen. auf der anderen strassenseite liegen der gerber und der laden des korbmachers. doch ich höre die ladenklingel nicht, die immer beim betreten schellte und deren klang mir gänsehaut machte. und dann gab es ja noch das freibad mit dem zehnerturm. zwei kilometer vor der stadt, am ufer des kleinen sees. ich selber sitze in der tangobar mit ihren kleinen runden tischen, in schummrigem halbdunkel. die “verruchte tangobar”. so wurde sie tatsächlich genannt. jeden abend gab es hier musik und tanz. heute fehlen die bilder an den wänden, die birnen der lampen sind herausgeschraubt, staub und dreck überall. ihre besten zeiten liegen so lange zurück. was der kolonialwarenladen für die kinder, war die tangobar für uns im jugendalter: ein fenster ins leben, rauchgeschwängert und lockend verdorben. wir drückten uns die nase platt an den kleinen fenstern, um etwas von den eleganten tanzpaaren zu sehen, dem küssen und singen der reisenden auf dem weg in die grosse stadt.

im laufe des ersten weltkrieges machten die behörden das städtchen zur garnisonsstadt und die bar musste den betrieb einstellen. in ihren räumen wurde ein provisorisches lazarett eingerichtet. an einem tag im jahre 1917, es war der 14. september, wurde dieser ort zum stadtgespräch. vier hochschwangere frauen, die im kleinen krankenhaus nicht mehr untergebracht werden konnten, brachten hier, vielleicht hinter, unter, auf diesem tisch, innerhalb einer halben stunde ihre kinder zur welt: inge, hans, martha und mich, valentin.

1993/1994

1994/1995

1995/1996

1996/1997

1997/1998

1998/1999

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