verbrennungen (incendies)

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staatstheater braunschweig

 

verbrennungen (incendies)
von wajdi mouawad

[alle szenenfotos: christian bort, stefan testi]
 

 

inszenierung: mario portmann
dramaturgie: johannes blum
raum: stefan testi
kostüme: silvia albarella
musikalische einrichtung:
jörg wockenfuß, jan beyer

mit ulrike requadt, anne cathrin buhtz, sabine wackernagel, christina athenstädt, malte sundermann, andreas bißmeier, johannes walther, klaus lembke, christian baus, götz van ooyen

premiere am 6.12.2007 im kleinen haus des staatstheaters braunschweig. trailer hier

hannoversche allgemeine zeitung vom 11.12.2007

Jenseits des Libanons

„Verbrennungen” von Wajdi Mouawad am Braunschweiger Schauspiel

VON RONALD MEYER-ARLT

Ein Dankeschön geht an Khaled Nabhout und Jenny Rahel Oesterle und zwar für „ihre äußerst hilfreichen Hinweise über die libanesische Geschichte und für die Unterweisung des Ensembles in der arabischen Sprache“ . Und dann bedankt man sich im Programmheft noch höflich bei den Herren Ahlfänger und Lerch vom Pistolensportclub Herzog Erich „für die Unterweisung in der Handhaben von Pistolen“ .
Das klingt spannend. Libanon und Pistolenclub. Was wird da auf uns zukommen?

Zuerst mal ein Familiendrama. Eine Mutter ist gestorben. Bruder und Schwester, Zwillinge die beiden, stehen beim Notar und hören zu wie das Testament verlesen wird. Zwei Aufgaben warten auf die jungen Leute: Sie, Jeanne, soll ihrem Vater einen Brief übergeben, er,
Simon, bekommt einen Brief für seinen Bruder mit. Diesen Vater und diesen Bruder haben beide nie gesehen. Die Mutter hat die Kinder allein auf gezogen. Nicht sehr herzlich und liebevoll, wie sich bald herausstellt, die meiste Zeit hat sie geschwiegen: Die Erben machen sich auf den Weg - der ziemlich gerade in die Vergangenheit ihres Landes führt. Und jetzt wird es richtig spannend.

Der junge Dramatiker Wajdi Mouawad der im Libanon geboren wurde, von wo aus er im Alter von acht Jahren mit seinen Eltern nach Paris geflohen ist, erzählt von dem Land, das er verlassen hat, aber mehr noch von der Welt in der wir leben. Der Begriff Libanon fällt nicht ein einziges Mal in dem Stück, aber es ist von Milizen die Rede, von Folter, Mord und Vergewaltigung. Die Geschwister reisen durch die Welt und durch die Zeit und stoßen am Ende auf ein fürchterliches Geheimnis.
Ganz ungeniert hat sich der Autor hier bei Sophokles und seinem König Ödipus wenn nicht bedient so doch immerhin stark anregen lassen. Er erzählt - und das ist neu und ziemlich wunderbar - eine orientalische Geschichte. Viele deutsche Dramaturgen sind ganz begeistert von Wajdi Mouawad und viele Bühnen spielen das Stück, das 2002 vom Autor selbst uraufgeführt wurde nach.

In Braunschweig bringt Regisseur Mario Portmann die dunkle fremde Geschichte auf die Bühne und er macht das sehr geschickt. Er braucht nicht viel. Ein paar Kästen als Sitzplätze, ein Loch im Boden, durch das man verschwinden kann, das reicht schon. Auf die Videoprojektionen an der Rückwand, wiewohl reizvoll, hätte man verzichten können. Auf die Schusswaffen die gegen Ende zum Einsatz kommen, freilich nicht. Oft ist im Theater das Erzählen leichter als das Zeigen, aber bei der Pistolenszene in der ein Sniper zu Wort kommt, geht's eben nicht ohne Zeigen. Die Regie lässt hier eine gewisse Artistik zu und rettet so die nicht ganz einf ache Szene. Überhaupt wird in Braunschweig viel gerettet. Regisseur Portmann und sein Ensemble, vor allem Ulrike Requadt als junge Mutter und Christina Athenstädt als Jeanne retten das Stück vor allem vor zu viel Folklore und Geschichtenerzählerseligkeit. Es steckt viel zu viel 1001-Nacht-Zauber in dem durchaus etwas überkonstruierten Stück. Mit einer eher kargen, fast probenartigen Spielweise kann man ganz gut dagegen ansteuern. Das Braunschweiger Theater erzählt nachdrücklich vom Krieg und wie er die Menschen deformiert auch wenn er lange zurückliegt. Das knapp dreieinhalb Stunden dauernde Stück geht nahe, gerade weil es immer nicht nur auf eine bestimmte historische Situation sondern auf einen allgemeinmenschlichen Zustand zielt. Am Ende fühlt man sich unsicher, wie irgendwie davon gekommen, nur mit Glück davon gekommen.
 

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braunschweiger zeitung vom 8.12.2007

Abgründe von Liebe, Hass und Herzblut

Die Premiere von "Verbrennungen" am Staatstheater Braunschweig - ein zwiespältiges Erlebnis

Von Martin Jasper

"Jeder, der ,Verbrennungen’ schon gesehen hat, ist erschüttert." Das stand kürzlich in dieser Zeitung. Deshalb war ich letztlich doch enttäuscht, als ich das Stück des Libanesen Wajdi Mouwad nun selber im Kleinen Haus des Braunschweiger Staatstheaters erlebte. Die Erschütterung hielt sich bei mir in Grenzen. Warum bloß? Bin ich ein Klotz?

Schließlich geht es um furchtbare Sachen. Es geht um eine Frau, die die Gräuel von Krieg und Vertreibung im Nahen Osten durchleidet. Ihr erstes Kind wird ihr gleich nach der Geburt entrissen, später wird sie im Gefängnis vergewaltigt und gebiert Zwillinge.

Dieser Frau hat ihr Leid den Mund versiegelt. Die Zwillinge wissen nichts von ihrer Herkunft. Erst per Testament bekommen sie je einen Brief, den sie ihrem unbekannten Vater, ihrem unbekannten Bruder bringen sollen. Wider Willen machen sich die beiden modernen jungen Leute – ein Boxer, eine Mathematikerin – auf die Suche nach ihren Wurzeln. Und landen in Abgründen von Hass und Liebe.

Das Stück hat ein gewaltiges Thema, erzählt eine ungeheure Geschichte, ist relativ gut gebaut – all das ist im Gegenwarts-Theater nicht gering zu schätzen, schon gar nicht in Braunschweig! Das Problem des jungen kanadisch-libanesischen Autors: Er versprüht mitleidendes Herzblut bis an die Schwulst-Grenze, drückt dramatisch auf die Betroffenheits-Tube. Paradox: Wenn meine Erschütterung so dringlich eingefordert wird, bleibt sie aus.

Das ist gepaart mit einem didaktischen Eifer, der da lehrt: In Krisenregionen gebiert eine Gewalttat die nächste, es gibt eine unendliche, unentwirrbare Kette von Gewalt und Leid und Rache und neuer Gewalt. Diesen verhängnisvollen Faden gilt es zu zerreißen. Und: Es kann nur besser werden, wenn Mädchen lesen lernen. So ist dies Drama eine heikle Mischung aus poetischem Pathos und pädagogischem Ethos.

Mario Portmann, Meister der kargen, bildkräftigen Inszenierung, baut auf leerer Holzbahn die Spannung unspektakulär auf. Er inszeniert aus dem inneren Empfinden der Figuren gegen das Pathos des Stoffes an. Fließend leicht gelingt die Verschränkung der Handlungsebenen.

So entstehen anrührende Momente mit der Mutter als junger Frau (Ulrike Requadt) voller naiver Freude über ihr erstes Kind, die rasch der Verzeiflung weicht. Vor allem aber zwischen der Requadt und ihrer jugendlichen Freundin: Anne Cathrin Buhtz mit wunderbarer Wärme und trotziger Lebenslust. Wie sie gemeinsam ausbrechen, sich streiten und aufbegehren – da fühlt und hofft und bangt man mit.

Klaus Lembke hat einen starken Moment, wenn er als einsamer Arzt müde die endlose Gewaltkette aufzählt und dabei eine Apfelsine schält. Götz van Ooyen gibt den entmenschten Milizionär mit leicht irrem Zynismus.

Schwäche der Regie allerdings: Nach der Pause ist klar, auf welche furchtbare ödipale Verstrickung die Geschichte zuläuft. Da dauert das Stück aber noch lange, wirkt eher umständlich als erschütternd, die Spannung lässt nach. Da hätte Straffung gutgetan.

Hingehen lohnt sich aber schon. Kräftiger Beifall aus den lückenhaft gefüllten Reihen.

braunschweiger zeitung vom 14.12.2007

”Schockierendes Stück gegen Krieg und Gewalt”

Lesermeinungen zu “Verbrennungen” von Wajdi Mouawad im Staatstheater Braunschweig durchweg begeistert

Das Stück hat mich sehr berührt. Das ausdrucksvolle Spiel des Ensembles fand ich äußerst gelungen. Die sparsame Verwendung der Ausstattung gab dem Stück einen authentischen Rahmen.
Torsten Markräfe

Entgegen der Kritik in Ihrer Zeitung eine ausgezeichnete Aufführung!
Helga Eckstein

Ein bewegendes Thema, ein hervorragendes Stück, grandios inszeniert und gespielt, moderndes Theater, wie man es sich nur wünschen kann. Unbedingt ansehen!
Annete Behrens

Hochaktuelles Thema, sehr gut aufgearbeitet!
Jochen und Dorothee Beyer

Mitreissend wie ein guter Krimi!
Rainer Näth

Super schauspielerische Leistung!
Brigitte Müller

Die Sprünge in die und aus den Zeiten und die schauspielerische Leistung bei so wenig Bühnenbild sind einfach grandios.
Margret Heinrich

Exzellent geschauspielert - bei solch einer traurigen Geschichte!
Dunja Gaedecke

Tolle Dramaturgie mit einem schockierenden Schluss!
Ernst Loehr

Man schaut gebannt zu, um zu erfahren, ob es ein Happy End geben wird.
Sebastian Klaus

 

KOMMENTAR

Es lebe die Leser-Kritik!

Von Martin Jasper

Da sieht man mal wieder: Wie gut, dass es unsere Leser-Kritik gibt! Wo der professionelle Kritiker sich von einer etwas trashigen Shakespeare-Inszenierung mitreißen lässt, melden viele Zuschauer kulturkonservative Bedenken an.
Wo hingegen der Kritiker der eigenen Enttäuschung über ein zeitgenössisches Stück eines jungen Libanesen nachspürt, ist das Publikum einmütig total entflammt.
Hier zeigt sich, dass es bei der Theaterkritik nicht darum geht, ein Meinungs-Monopol zu behaupten, dass der Anspruch “Recht zu haben” absurd ist. Die Leser-Kritik entfaltet ein oft kontroverses Spektrum von Meinungen und Emotionen, das ein Klima der lebhaften Auseinandersetzung erzeugt.